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Kanada 4.0

Kanada 4.0

Story

Heuer im November 2016 sind Vitto und ich wieder nach Kanada gereist, um uns nicht nur beim Eis- und Mixedklettern – wie die letzten drei Mal – zu versuchen, sondern auch beim Nordwandbergsteigen.

Unser Freund Gery Unterasinger hat uns von relativ guten Bedingungen in den Rockies berichtet und Bilder von den vorherrschenden Verhältnissen geschickt.
Daraufhin haben wir, wie immer, kurz entschlossen, einen Flug nach Calgary gebucht und durften wieder bei unserem Freund Gery und seiner Familie logieren.

Am ersten Tag nach unserer Ankunft checkten wir gleich selbst die Verhältnisse und wanderten am Icefields Parkway ein bisschen herum, um unseren Jetlag ein wenig auszukurieren.

Die 1. Tour

Nach einem kräftezehrenden Zustieg am nächsten Tag konnten wir die berühmte Eistour Riptite PO 0 am Mt. Patterson klettern.
Mit diesen Erfahrungen, die wir sammelten, konnten wir uns ein recht gutes Bild der Schneeverhältnisse an den umliegenden Nordwänden machen. Und es sah leider nicht ganz rosig danach aus.

Die 2. Tour – abgebrochen

Nach einem gemütlichen Sportklettertag mit einigen Freunden redeten wir viel über eine größere Tour, und genau um „Beer o´clock“ entschieden wir uns, am übernächsten Tag – diesmal zu dritt, denn Gery war mit von der Partie – zu starten.
Super organisiert, stiegen wir Richtung NO-Wand des Mt. Chephren in den Icefields.
Uns wurde gleich schon beim Zustieg bewusst, dass die Verhältnisse schlechter sind als erwartet (Temperatur, Schneequalität usw.). Trotzdem versuchten wir unser Glück. Doch nach einer halben Seillänge mussten wir einsehen, dass es keinen Sinn hat. Starker Steinschlag bestätigte dann auch noch unsere Entscheidung.

Die 3. Tour

Die täglich ansteigenden Temperaturen trugen nicht dazu bei, dass sich in den Bergen die Verhältnisse schnell bessern sollten.
Nach einer Fels – Mehrseillängen – Tour am Yamnaska-Stock in der Nähe von Canmore hatten wir nicht viel Zeit, um uns Gedanken über die Schneeverhältnisse zu machen, denn die Kletterei war verdammt moralisch. Ein geiler Tag ging wieder um „ten to Beer“ zu Ende.

Die 4. Tour

Sehr zeitig in der Früh am nächsten Tag starteten wir Richtung VSOB. Eine Eislinie im K-Country, nahe Canmore, hatten wir im Visier. Wir rieben uns nochmals die Augen, als wir um 4:30 in der Früh am Autothermometer unglaubliche +15 °C sahen. Wir wanderten durch das lange und „bärenfreundliche“ Zustiegstal Richtung Einstieg. Beim Einstieg, der deutlich über der Waldgrenze ist, konnten wir aber ganz gute Eisverhältnisse vorfinden. Und nach langem Einschätzen des Eises und des Einzuggebietes entschieden wir uns fürs Einsteigen. Wir wurden durch eine geniale und anspruchsvolle Kletterei belohnt.

Die 5. Tour – abgebrochen

Ready für einen neuen Versuch an einer Nordwand? Sowieso! Wir packten wieder und wollten den Mt. Andromeda über die Linie „Andromeda Stream“ erklettern. Dieser Berg liegt viel weiter im Norden, und wir erhofften uns bessere Schnee- und Wandverhältnisse.
Nach einer windgepeitschten Nacht im Zelt stiegen wir Richtung Einstieg. Die heftigen Windböhen machten den Zustieg nicht gerade lustig, aber wir kämpften uns zum Einstieg. Nach längerem Überlegen stiegen wir trotz des starken Windes in die Tour ein.
Im oberen Bereich kamen wir zur ersten schweren Seillänge. Es waren riesige Snowmashroms an den Felswänden und in der Verschneidung, an der man hoch sollte. Ich brauchte 2 h für diese Länge, und wir waren nur 40 m weiter. Als Vitto die nächste schwere Seillänge zu klettern begann, sahen wir bald, dass es einfach keinen Sinn mehr macht. Zu viel Schnee, starker Wind, andauernd Spinndrifts und riesige Snowmashroms. Da entschieden wir uns zur Umkehr.

Die 6. Tour – abgebrochen

Wieder zurück in Canmore, informierte uns Gery über eine sehr selten geformte Eistour in der Nähe von Lake Lois. Wir bekamen Luftbildaufnahmen von einem Freund von Gery, der bei der Mountainrescue in Canmore arbeitet. Also ging das frohe Rucksackpacken wieder los. Uns stand ein 17 km langer Marsch bevor. Daher entschieden wir uns, einen Schlitten mit dem schweren Rucksack hinter uns herzuziehen.
Gesagt getan, am nächsten Tag gings los. Diesmal war Gery wieder mit dabei.
Wieder war eine Gefahr am Zustieg nicht ganz außer Acht zu lassen: Bären! Aufgrund der hohen Temperaturen und der hohen Schneegrenze sollen noch nicht alle Bären im Winterschlaf sein. Bewaffnet mit Bearspray, das ist eine überdimensional große Pfefferspraydose, gings die letzten Kilometer durch dichten Wald zu unserem Basecamp.
Wir organisierten uns, kochten, machten Feuer und bereiteten uns auf den nächsten Tag vor.
In der Früh stellten wir fest, dass es über Nacht die vorhergesagten ca. 10 cm Neuschnee gab. Es sah nicht sehr einladend aus, aber wir entschieden uns, zunächst ein Stück Richtung Einstieg zu gehen. Je höher wir kamen, desto mehr Neuschnee. Wir hielten kurz an, beurteilten und entschieden, mit großen Abständen den Schlusshang raufzuspuren. Der Schnee fühlte sich super an. Wir hatten keine Angst, dass sich eine Lawine lösen könnte.
3 Bergführer, die Linie vor den Augen, es wurde freundlicher, und es begann zu dämmern. Ein „bisschen“ Neuschnee, eigentlich ganz gute Voraussetzungen, oder?
Die letzte Spitzkehre, dann sind wir da, dachte ich mir. Plötzlich änderte sich aber etwas unter meinen Skiern. Der Schnee unter meinen Füßen fühlte sich plötzlich nicht mehr gut an, ein flaues Gefühl in der Magengrube überkam mich. Ich blieb stehen und wollte nochmal anders die Spur anlegen, ein Schritt nach unten und WUMM. Der Hang riss, und es löste sich ein Schneebrett. Meine Freunde unter mir… scheiße, scheiße! Wir kämpften alle ….. bloß nicht verschüttet werden ….. aber in solch einem Moment bist du nur noch Passagier.
Die Lawine blieb stehen. Ich und Vitto konnten uns selbst befreien. Wo ist Gery? Wir sahen ihn nicht und schrien nach ihm. Gottseidank bekamen wir bald Antwort. Gery war 200 m weiter unten und konnte sich auch selbst befreien.
Nicht auszudenken, was alles passieren hätte können! Das lass ich jetzt einmal so stehen!

Wir verloren einige Skistöcke, die Stirnlampen usw. Wir drehten natürlich um, denn wir wussten, dass wir einen sehr langen Rückweg haben und das nur mit einem Stock bzw. keinem. Keine Stirnlampe und gezeichnet von der verdammten „Watschn“, die wir abbekommen hatten.

Was ging schief? Warum ist das passiert?
Zu siegessicher? Expertenfalle? Gruppendynamik? Das Limit zu weit nach oben gepusht?
Man glaubt, man weiß alles. Aber in so einer Situation ist der Mensch mit seinem Wissen, seiner Erfahrung und Einschätzung der Zweite. Der Berg kann einem das ganz schnell auf brutale Art und Weise zeigen. Kann ich hier das Wort „Restrisiko“ verwenden?

Wir waren sicher gestärkt von der Erfahrung, die Vitto und ich bei unseren 3 letzten Kanadatrips und einigen coolen Touren auf richtige kanadische Klassiker sammeln konnten.
Die Riptite, unsere erste Tour heuer, die ich beschrieben habe, war sicher auch schon knapp am Limit. Wir waren extrem motiviert, bekamen aber ziemlich oft eine Watschn am Berg. Die zweite Tour, die VSOB, war auch ziemlich an der Grenze. Beide Touren hätten wir, auf Grund der nicht ganz optimalen Verhältnisse, beinahe abgebrochen.
Bei zwei Touren waren wir dann zu dritt unterwegs. Das war ein Faktor, der uns Sicherheit gab. Wir haben uns als Team sehr stark gefühlt.
Und trotzdem läuft man Gefahr, in eine „Falle“ zu laufen.

Natürlich probiert man alle Gefahrenhinweise, Eindrücke und Faktoren, die gerade die Situation ausmachen, zu einem Bild zusammenzufügen, aber irgendwo kann man nicht jegliche Gefahr durch Erfahrung bzw. rechnerisch ausschließen. Das geht nicht. Das ist die Natur, die Wildnis. Faszinierend und gefährlich zugleich!

Motz und Vitto
November 2016