Kanada 5.0
Story
Noch kurzfristiger als die letzten Besuche, haben wir uns Anfang Dezember wieder entschieden nach Kanada zu fliegen, um die scheinbar guten Verhältnisse auszunutzen und ein paar schöne Linien zu klettern.
Unser Freund Gery nahm uns am Anfang des Trips wieder in seinem Haus auf und wir durften, nach einem Tag Drytooling im sogenannten „Playground“ (das Gepäck wurde uns erst ein Tag später geliefert) wieder mal mit ihm und seinen amerikanischen Gast Frank unterwegs sein. Die Murchison Falls mit der sich selten bildenden Linie „Virtual Reality“ (WI6, 180m) waren unser erstes Ziel. Ein gewaltiges Amphitheater nicht allzu weit vom Icefields Parkway macht sich hier auf. In kurzer Zeit waren wir wieder voll da, in den Weiten und in der Wildnis Kanadas. Nass im unteren Teil mit einem originellen „sportklettermäßigen“ Dachl und mit einer ausgetrockneten und schon etwas abgelösten steilen Säule im oberen Teil, präsentierte sich dieser mächtiger Fall.
Am nächsten Tag steuerten wir die uns aus den letzten Jahren gut bekannte „Stanley Headwall“ an. Es war zwar trockener als die letzten Jahre und viele Linien waren einfach nicht da, doch unser Ziel war diesmal nichts ausgefallenes, sondern den Klassiker „Suffer machine“ (WI5,M7,300m), den wir bisher zu Unrecht wenig Beachtung geschenkt hatten. Eine richtig schöne erste Mixedlänge mit Tropflöchern und Rissen führte schräg nach links oben ins Eis. Danach folgten vier satte Eislängen und obwohl sie nicht so steil waren als in anderen Routen an der Headwall, konnte man die Ausgesetztheit dieser großartigen Linien in vollen Zügen spüren.
Für den nächsten Tag wussten wir nicht wirklich wohin und Gery erzählte uns vom „Protection Valley“, ein Seitental zwischen Banff und Lake Louise, der hochqualitative Eisfälle zu bieten hat. Der einzige Haken – ein 3 stündiger Zustieg durch Kanadas Wildnis. Dadurch, dass dieses Tal heuer durch die sozialen Medien richtig „in“ geworden ist, war ein regelrechter „Idiotensteig“ hinein. Doch den Start dieses „Steiges“ konnten wir erst nach einer Stunde suchen im Wald erst finden… der Klassiker. Als wir höher kamen, spürten wir die letzten Tage schon sehr in unseren Beinen und als wir unser Ziel erstmals erspähen konnten, kam es uns eigentlich gelegen, dass das Eis bereits sehr weiss und abgelöst von der Weite erschien. Somit schwenkten wir um und steuerten eine leichtere Linie an, der es aber Schönheit und Abwechslung nicht mangelte. „Mon Ami“ (WI5, 200m) war richtig gut eingepickelt und für uns ein Genuß zu klettern – trotzdem würden wir das nicht so schnell ohne Seil machen und dachten an Gery, der dieser Linie ein paar Wochen zuvor die erste Solobegehung abrang.
Ein absoluter Klassiker sollte sich dieses Jahr endlich gebildet haben, die Regenbogenschlange „Rainbow Serpent“ (WI6 120m). Das hieß für uns wieder mal ins „Ghost“ zu fahren, eines der wildesten Gebiete, das man in den östlichen Rockies antreffen kann. Dieses Jahr waren wir allerdings zu geizig um uns ein 4×4 Auto auszuleihen und Gery lieh uns dankenswerterweise wieder mal sein Auto aus. Somit war am „Devil’s Head“ Schluss und wir mussten zu Fuß gehen. Am Weg hin hatten wir Glück und es nahmen uns andere Kletterer mit ihren Jeep ein weites Stück mit rein. Als Zustieg zum Rainbow Serpent muss man zuerst über einen sehr netten Aufschwung „Aquarius“ klettern, um überhaupt in die sog. „Reticent Hall“ zu gelangen. In diesem höchst beeindruckenden Amphitheater machen sie zwei schwierige Eislinien auf, die „Fearful Simmetry“ zur linken und der Serpent zur rechten. Eine Wahnsinnslinie! Leider war die untere Säule nicht dick genug um über diese zu klettern und somit entschieden wir uns über die Mixedvariante auf den oberen Stand zu gelangen. Ein paar coole und steile Moves und dann ein weiter Schritt ins Eis mit Runout, meisterte Motz bravurös und die letzte steile Säule mit Softeis führte uns schlussendlich zum Ausstieg. Ein echt genialer Tag!
Nun war mal ein Ruhetag notwendig und wir siedelten zugleich in eine Ferienwohnung um, wo andere Bergführerkollegen aus Österreich bereits Quartier bezogen hatten. Dieses Jahr wollten wir uns einfach neue Sachen anschauen, somit war der Plan zur „Storm Creek Headwall“ aufzusteigen bereits geschmiedet. Diese 200-250m hohe Wand befindet sich ein Tal östlicher von der bekannteren „Stanley Headwall“ und kann elegant mit Schi erreicht werden. Auch viele dieser Linien waren heuer nicht gebildet, trotzdem konnten wir was Kletterbares finden – „The Silmarillion indirect“ (WI5,M6, 250m). Eine lohnende Linie mit nicht allzu hohen Schwierigkeiten, die aber alles dabei hat, von der Glasur, zur Drytoolverschneidung bis hin zum senkrechten Eis!
Doch ging uns der Spruch von einem unserer Kollegen einfach nicht aus dem Kopf „wann wir denn mal endlich was Gescheites machen würden“ und eine schwierige Tour an der Stanley Headwall geisterte schon in unseren Köpfen. Also „mussten“ wir hin. Die „God Delusion“ (WI6,M8+, 240m), startet etwas rechts der uns bereits bekannten „Man Yoga“ und führt über beide großen Dächer um zum abschließenden Eis Letzterer zu gelangen. Diese Route hat uns alles abverlangt, von der dünnen Eisglasur, zum fett ausladenden, athletischen Dach bis hin zur senkrechten Säule, ein richtiges Meisterstück vom „Professor“ Raphael Slawinski. Das große Dach konnten wir leider nicht auf Anhieb klettern, doch tat das schlussendlich am letzten Stand unserer Freude keinen Abbruch. Sicher eine der geilsten Linien, die wir bisher in Kanada geklettert sind!
Mehr als kaputt, doch uns blieben nur mehr zwei Tage bis zur Abreise, setzten wir uns ins Auto und fuhren Richtung Icefiels Parkway rauf. Wir wollten uns mal anschauen, ob die Mixedvariante der „Courtain Call“ kletterbar war. Nach der dreistündigen Fahrt sahen wir zwar mit dem Fernglas, dass es wahrscheinlich gehen würde – aber für uns nicht an dem Tag und entschieden uns ein paar Genußmeter in der Sonne an der Weeping Wall zu klettern, an der wir alleine (!) klettern durften…!
Ein letztes Mal wollten wir dem Ghost ein Besuch abstatten und eine noch offene Rechnung im Waiporous begleichen. Wir wussten über die Straßenverhältnisse bescheid und nahmen zwei Fahrräder mit. Nach einer zweistündigen Fahrt, beschlossen wir nun mit dem Fahrrad weiterzufahren. Kein leichtes Unterfangen, wenn die Straße komplett eisig war… Nach einer guten Stunde war der „gute“ Weg dann vorbei und wir mussten zu Fuß weiter. Wir meinten zwar die Abzweigungen noch in Erinnerung zu haben, allerdings hatten wir uns etwas getäuscht und eine Stunde später, durch den Wald irrend, kamen wir wieder auf den richtigen Steig. Es war schlussendlich fast Mittag als wir unterhalb der Hydro- und Cryophobia standen und es stellte sich leider gar nicht mehr die Frage, was für eine Tour wir klettern würden. Der Eisfall wäre zeitlich sicher ok und stiegen somit in die „Hydrophobia“ (WI5, 200m) ein. Ein gewaltiges steiles Eisschild in einer unglaublichen abgelegenen Kalkarena, anders kann man das glaub ich nicht definieren. Auf jeden Fall ein krönender Abschluss eines wieder einmal geilen Kanadatrips!
Vitto und Motz